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Do, 07. Mai 2015

Cebtral Prison, Kathmandu  

Vergessene Seelen

Der heutige Bericht ist sehr lang, doch BITTE nehmt euch die Zeit, ihn zu lesen! Er handelt von Menschen mit bewegenden Geschichten, über die sonst niemand berichten mag. Wir haben das Zentrale Gefängnis in Kathmandu besucht und vorher wieder einmal viele Güter für die Gefängnisinsassen eingekauft, wie zum Beispiel: Seife, Glukose, Milchpulver für Säuglinge, Nahrung, Medizin, Kekse und vieles mehr. 

Die Situation der Gefängnisse in und um Kathmandu herum ist sehr katastrophal. Genau wie in vielen Dörfern, die wir besuchen, müssen wir leider auch hier feststellen, dass keine Hilfe seitens der nepalesischen Regierung, sowie seitens großer NGOs hier her gelangt. Gefängnisinsassen gehören zu der untersten Kaste in Nepal. Die Tatsache, dass sie kriminell geworden sind, lässt sie zudem noch weiter an den Rand der Gesellschaft treten. Wer kümmert sich schon um die Bedürfnisse und die Rechte von Gefängnisinsassen? 

Eine Frau tut es! Sie ist ein großes Glanzlicht am Himmel der sozialen Arbeit hier in Nepal. Indira Ranamager, Gründerin von “Prisoners Assistence Nepal”, kämpft für die Menschenrechte von Gefangenen seit nun mehr als 25 Jahren. Wenn Frauen ins Gefängnis kommen, bleiben die Kinder bei ihnen und werden ebenfalls zu Gefängnisinsassen. Diese wunderbare Powerfrau, gibt alles, um Kinder aus den nepalesischen Gefängnissen zu retten und gibt ihnen eine Unterkunft, Nahrung, baut ihnen Schulen, in denen sie Bildung genießen können. 

Indira hat uns heute in ein Männer- und ein Frauengefängnis, in dem auch Kinder inhaftiert sind, mitgenommen, sodass wir unsere Spenden dort übermitteln können. Es war uns leider nicht erlaubt innerhalb des Gefängnisses Fotos zu machen, doch hier sind einige Bilder, wie wir Kekse, Kuscheltiere und Kinderkleidung an die Kinder vor dem Gefängnis überreichen. Doch was wir innerhalb der Gefängnismauern erlebt haben, war für uns mehr als ein Augenöffner, schockierend und bewegend zugleich. Und weil Fotos fehlen, hier ein ausführlicher Bericht: 

Die Umstände in den Gefängnissen waren auch vor dem Erdbeben mehr als menschenunwürdig. Um in den Innenhof der separierten Frauen- und Männergefängnisse zu gelangen, mussten wir gebückt durch eine kleine Öffnung im Gitter klettern. Zusammengefercht leben hier 700 Männer auf vielleicht 100qm und im Frauengefängnis sieht es nicht viel anders aus. Das Wasser ist gelb und braun vor Dreck, welches diese Menschen trinken. Es gibt nicht genug Unterkünfte, sodass die Menschen dicht gedrängt auf dem Hof unter Planen nebeneinaner schlafen. In Deutschland gibt es nicht einmal Tierheime, in denen solche Zustände herrschen. Im Frauengefängnis laufen zwischendrin Kinder mit dreckiger 

Kleidung, krank mit laufenden Nasen und glasigem, traumatisiertem Blick. Eine Frau war mit Handschellen an einen Busch gebunden im Innenhof. Sie ist geistig behindert und hat kleine Steine auf Kinder geworfen. Zur Strafe wird sie tagelang in der prallen Sonne gehalten, ohne Wasser. 

Eine Frau im Frauen/Kindergefängnis erzählt uns, dass sie eine 20-jährige Haftstrafe absitzt, weil sie mit Drogen gehandelt hat. Ein paar Meter weiter im Männergefängnis erzählt mir ein Mann, er sei Politiker und habe in Afganistan mit der NATO zusammen gearbeitet. Er war ein Führer der Truppen der “Friedenskämpfer” und hat den Befehl zu einem Anschlag in Kabul gegeben, bei dem 11 Menschen ums Leben gekommen sind. Das war vor drei Jahren, seitdem sitzt er ein. Doch er sagt, er habe gute Kontakte zur nepalesischen Regierung und es muss nur der richtige Betrag fließen, sodass er wieder in diesem Jahr auf freien Fuß kommt. Ist das gerecht? Eine Frau bekommt 20 Jahre für Drogenhandel und ein politischer Mörder kommt nach drei Jahren mit Hilfe der Regierung wieder raus!! 

Ein Mann im Männergefängnis erzählt: Als das Erbeben stattgefunden hat, ist ein kompletter Komplex über den Insassen eingestürzt. 16 Menschen sind gestorben, doch die Medien in Kathmandu haben nur von zwei Menschen berichtet. Es erreichte das Gefängnis keinerlei Hilfe. Die Insassen mussten die Leichen selbst bergen. Als wir über die Trümmer gestiegen sind, hat es immer noch nach Verwesung gerochen, was vermuten lässt, dass weitere Menschen unter den Steinen begraben liegen. Auf den Trümmern haben die Insassen nun ihre improvisierte Unterkunft aus Zeltplanen selbst hergestellt und schlafen nun auf den Ruinen, dicht gedrängt nebeneinander. Das rote Kreuz kam nach dem Beben und hat drei Zeltplanen gebracht. Drei!! Für 700 Insassen!! Sparmaßnahmen des Roten Kreuz? Die Insassen haben ihr Geld zusammengelegt und selbst Planen gekauft. Der Mann sagt: “Wir werden auch alles selbst wieder aufbauen. Das müssen wir ja. Wir müssen ja irgendwie hier leben.” Niemand kümmert sich sonst! 

Unsere Krankenschwester versorgte notdürftig einige Verletzte und machte neue Verbände. Der Arzt, der für dieses Gefängnis zuständig ist, ist bis heute nicht eingetroffen, denn er hat Angst das Gefängnis zu betreten. Es ist tatsächlich auch sehr gefährlich, denn viele Gebäude haben enorme Risse. Bei erneuten Beben drohen diese Gebäude weitere Insassen unter sich zu begraben. Ein Einkaufzentrum, welches direkt neben dem Gefängnis steht, ist durchzogen mit gefährlichen Rissen und neigt sich schon zur Seite. Sollte dieses Gebäude bei einem nächsten Beben auf das Gefängnis fallen, werden tausende Seelen unter dem Konsumtempel begraben werden. Wir selbst haben uns überlegt, in welche Richtung wir rennen sollen, als wir vor dem Gebäude standen, sollte ein starkes Nachbeben beginnen. Doch die Insassen können nirgendwo hinrennen, um ihr Leben zu retten. 

Zwei Insassen hatten lebensgefährliche Verletzungen. Die Achillissehne des einen Mannes ist gerissen, als ihm ein starkes Stück Stahl auf sein Bein gefallen ist. Seit 11 Tagen wurde diese Verletzung nicht behandelt, sodass sich sein ganzer Muskel versteift hat. Unsere Krankenschwester war schockiert und hat ihm eine Salbe gegen Muskelschmerzen auf das Bein verteilt. Mehr konnte sie nicht tun. Doch sie sagte: “Dieser Mann braucht sofort eine Operation, sonst wird er auf jeden Fall sterben.” Ein anderer Mann hat eine offene Wunde am Bein, wahrscheinlich leidet er bereits an einer Blutvergiftung. Auch er wird sterben, wenn er nicht bald in einem Krankenhaus behandelt wird. Als wir im Büro des Gefängnisleiters waren, hat unsere Krankenschwester versucht, ihn von der Dringlichkeit der Behandlungen zu überzeugen. Er hat die Fälle aufgenommen, doch während der ganzen Zeit schien ihn sein Fernseher mehr zu interessieren als die Menschenleben. 

Ich selbst habe einen Mann medizinisch versorgt. Tatsächlich habe ich lediglich eine Salbe auf sein Bein geschmiert, doch er schaut mich an und sagt mit strahlenden Augen: “Du bist mein Engel. Du hast mich gerettet.” Vor Dankbarkeit fängt er an zu singen und alle Gefängnisinsassen fangen begeistert an im Takt mit zu klatschen. 

Wie konnten wir dieses große Leid mit unseren wenigen Gütern schon mildern? Unseren wenigen Lebensmitteln, unserer eingeschränkten, medizinischen Versorgung, unser fünf Decken für 700 Menschen?? Doch was die Insassen uns gegeben haben, ist nicht in Worte zu fassen. Freudestrahlend haben sie uns empfangen, mit den Händen vor die Stirn zu einem Namaste zusammengelegt. Die Freude und Dankbarkeit, die uns entgegen gebracht wurde, dass wir zu ihnen gekommen sind, um ihnen zu helfen, war einfach überwältigend. Denn wer geht schon zu Kriminellen und leistet Hilfe? Wer nimmt sich ihrer an? Heute haben wir vielleicht nicht viele Güter geben können, im Vergleich zu dem, was dort wirklich gebraucht wird, doch wir haben den Menschen das Gefühl geschenkt, dass sich jemand um sie kümmert und das hat all unsere Seelen zum strahlen gebracht. Wir sind zu Tränen gerührt und unendlich dankbar, dass wir durch Indira Zugang zu den Gefängnissen erhalten haben, sodass wir euch von diesen vergessenen Seelen berichten können. Bitte vergesst sie nicht. Wir werden es auf jeden Fall nicht tun! 

Mit bewegten Herzen Germaid & Björn