17. 30.11.15_klein

Mo, 30. Nov 2015

Takure / Bangoan, Region Sindhupalchok

“Viele, kleine Tropfen werden irgendwann zum Regen.” 

Als wir im Mai/Juni 2015 hier in Nepal waren, haben wir einige abenteuerliche Touren in die Berge unternommen, mit Trucks voller Güter und Lebensmitteln. Es ging darum, dass die Menschen, die all ihr Hab und Gut aufgrund des Erdbebens verloren haben, Nahrung, Zeltplanen und Wellblech bekommen sollten. Wir dachten damals schon, es sei eine große Herausforderung gewesen, all das zu organisieren, doch heute 7 Monate nach dem großen Erdbeben, sollten wir erst heraus finden, was eine Herausforderung bedeutet. Die Situation unter der Bevölkerung ist unverändert. Keine Familie hat bis dato das versprochene Geld für den Wiederaufbau von Häusern vom Staat bekommen, es fehlt an Nahrung und vor allen Dingen an warmer Bekleidung und Decken, da die Menschen nun den kommenden Winter in ihren notdürftigen Wellblech-Schutzhütten verbringen müssen. Man muss dazu erwähnen, dass die nepalesische Regierung Spendengelder abgefangen hat, in den ersten Wochen nach dem Beben. All das Geld, welches vom Ausland auf offizielle nepalesische NGO-Konten gespendet wurde, und das war nicht wenig, floss direkt in einen Regierungsfond. Die Regierung verspricht seither, dieses Geld gerecht an alle Familien, deren Häuser zerstört wurden, zu verteilen, doch jeder Nepalese, den man heute auf dieses Geld anspricht, zuckt nur mit den Schultern. Es wird nie ausgezahlt werden, das ist die allgemeine Meinung! Daher ist auch noch nicht viel passiert in den Dörfern. Den Menschen fehlt schlicht und ergreifend das Geld, sich selbst die Häuser neu zu finanzieren und aus diesem Grund schlafen sie weiterhin in Zelten und Wellblechhütten und das zu Hunderttausenden. Wir haben daher die Notwendigkeit gesehen, wenigsten Einige dieser Menschen mit Decken und Matratzen auf den Winter vorzubereiten. Und auch wenn es nur ein Tropfen auf de heißen Stein darstellt, stellten wir uns dieser Aufgabe. Denn wie eingangs beschrieben, sollte da eine große Herausforderung auf uns zu kommen. Neben all den unmenschlichen Bedingung, kommt nun auch noch die Benzinblockade Indiens hinzu, die die Menschen hier in Nepal vollends in den Ruin, in die Verzweiflung und eventuell auch in den Hungertod stürzen wird. Es ist nicht nur Benzin und Gas, welches den Menschen zum Kochen oder für den Transport fehlt, Preise für Lebensmittel, Baumaterial und vieles weitere steigen wöchentlich an. So bedurfte es einiges an Verhandlungsgeschick einen vertrauenswürdigen Händler zu finden, der uns einen guten Preis machen sollte, für die je 400 Matratzen und Decken, die wir an insgesamt 400 Familien in den Bergen von Sindhupalshock verteilen wollten. Der Händler benötigte allerdings 10 Tage, um all die Güter zu sammeln und so mussten wir uns zunächst gedulden. Unser einheimischer Freund Naresh hat großartige Vermittlungs- und Organisationsarbeit geleistet. Er hat uns nicht nur mit dem Händler zusammen geführt, er hat zudem in kürzester Zeit zwei Trucks + Fahrer aufgetan, die mit uns in die Berge fahren sollten. Normalerweise nehmen viele Truck- und Taxifahrer diese Aufträge nicht mehr an, da ihnen die Fahrt zu weit ist. Sie können mit dem bisschen Sprit, welches sie besitzen, bei solch 

weiten Fahrten nicht mehr viel Umsatz machen und spezialisieren sich auf kurze Fahrten in und um Kathmandu. Doch Naresh hat Trucks organisiert, die Diesel tanken und hat zudem genug Diesel für die Fahrt erstanden. Benzin zu bekommen, ist nahezu unmöglich dieser Tage. Als wir mit den beladenen Trucks durch die Stadt fuhren, haben wir unzählige Schlangen von Trucks, Bussen und Taxen gesehen, die kilometerweit vor geschlossenen Tankstellen warteten. Die Fahrer schlafen teilweise wochenlang in ihren Gefährten, für ein bisschen Benzin. Irgendwann öffnet die Tankstelle für ein paar Stunden und dann wird wieder tagelang auf die nächste geschmuggelte Lieferung gewartet. Allein als Ausländer, hätten wir diese Aktion so auch nicht durchführen können, daher sind wir unendlich dankbar über unsere gute Zusammenarbeit mit Naresh. Wir besuchten nun also das Dorf Takure und das Dorf Bangoan. Die Fahrt in die Berge war ein Traum. Wir hatten bis dato noch nicht viel vom Himalaya gesehen, doch als wir nach ein paar Stunden über den ersten höheren Bergkamm gefahren sind, war er plötzlich da. Wie weiße, riesige Geister erschienen die uralten Giganten plötzlich am Horizont, mächtig und eindrucksvoll. Das Dach der Welt! Uns fiel beiden sofort die Kinnlade aus dem Gesicht und unsere Augen wurden groß. Naresh guckte uns verdutzt an und fragte: „Was ist denn los?“ Dann sah er die Berge und meinte: „Achso, das…“ und lächelte. Von da an begleiteten uns die weißen Riesen auf unserem Weg durch eine wunderschöne, eindrucksvolle Landschaft, bestehend aus grünen Bergen und unzähligen Terrassenfeldern, die in die Hügel eingearbeitet waren. Wir konnten schon zum Teil auf die aufsteigenden Wolken unter uns blicken. Viele Menschen arbeiteten auf den Feldern und holten die Ernte ein. Faltige Frauen banden ihre Bastkörbe vor die Strin und trugen so auf nepalesische Art die schwere Ernte oder riesige Heuballen die Berge hinauf. So faszinierend auch die Aussicht war, so bedrückend ist es gleichzeitig immer wieder zu sehen, in welch katastrophalen Zuständen die Menschen in den Bergdörfern in ihren notdürftigen Behausungen leben müssen. Die Bergstraßen waren zudem sehr unwegsam. Bzw. die meiste Zeit waren wir auf staubigen Schotterwegen unterwegs, mit enormen Schlaglöchern und riesigen Schlammkuhlen, in denen die Trucks zu versinken drohten. Doch unsere Fahrer waren Meister ihres Werks, wir wurden zwar ca. 4 Stunden lang mächtig durchgeschüttelt, doch schließlich kamen wir und unsere Ladung wohlbehalten im ersten Dorf Bangoan an. Wir versammelten uns in der hiesigen Schule, viele Menschen waren zum Empfang schon dort. Hier verteilten wir in einer kurzen Aktion einige Matratzen und Decken, den Rest lagerten wir in einem Raum der Schule. Die Güter sollten später geordnet von den Lehrern an alle Bewohner des Dorfes verteilt werden. Tatsächlich bestand die Schule lediglich aus einer Bambushütte mit zwei Räumen und einem Unterstand, der aus Baumstämmen und Wellblech gezimmert wurde. Die eigentliche Schule ist beim Erdbeben ebenfalls komplett zerstört worden. Nachdem wir uns verabschiedeten, ging es weiter hoch in das nächste Dorf Takure. In diesem Dorf planen wir auch längerfristig einen Wiederaufbau von Häusern. Viele Dorfbewohner und vor allem die Kinder erkannten Björn wieder, der bereits bei einer Aktion im Mai in Takure war. Auf dem kleinen Dorfplatz wurden wir wieder einmal mit Tikka-Segnung, Blumenkränzen und feinen Seidenschals begrüßt. Das ist das Ritual der traditionellen, nepalesischen Danksagung und bedeutet den Menschen hier sehr viel. Für uns ist es oft sehr ungewöhnlich, so dankbar empfangen zu werden, doch es ist ein Stück nepalesische Kultur und diese erfahren zu dürfen, ist im Grunde ein wunderbares Geschenk. Die Dorfbewohner hatten sich schon versammelt und so begannen wir umgehend mit der Verteilung. Jeder Vertreter einer Familie hatte zuvor einen Coupon mit Namen, Unterschrift und Stempel erhalten. Im Austausch dagegen erhielt jeder eine Decke und eine Matratze. Naresh sammelte die Coupons ein, Germaid verteilte die Decken und Björn händigte die Matratzen aus. Wir hatten noch vier weitere nepalesische Helfer an Bord, die uns bei der Verteilung unterstützten. Es war wieder einmal ein Hochgefühl, den Menschen die Güter aushändigen zu dürfen und an dieser Stelle, möchten wir uns bei allen Spendern bedanken, 

die solche Aktionen erst möglich machen. Wir danken euch, dass wir durch euer Geld diese wunderbare Erfahrung machen dürfen, diesen Menschen Hilfsgüter zu überreichen. Für uns ist klar geworden, die schönste Geste, die ein Mensch machen kann, ist es, die Hände zu öffnen und sie einem anderen zu reichen, bzw. Geschenke zu überreichen. Wir strahlten uns gegenseitig an, legten die Handflächen zusammen, hielten unsere Hände vor die Stirn und sagten: „Namaste!“. Es hat unsere Herzen wieder einmal ein Stück weiter werden lassen. Nach der Aktion spazierten wir noch ein bisschen durch das Dorf und wurden zum Tee eingeladen. Einige Teenager-Mädchen kicherten und zeigten auf Germaids weiße Haut, die sie scheinbar so wunderschön fanden, „Ramro Cha!“ Leider mussten wir uns auch hier schnell verabschieden. Wir hatten von der lokalen Verwaltung nur eine Genehmigung bis 18 Uhr abends erhalten, in der Region zu sein. Dieser Tage sind an allen Regionsgrenzen und besonders in und um Kathmandu herum enorm viele Polizei Check Points. Man merkt, dass die Lage angespannt ist. Zurück in der Stadt, wurden wir alle zwei Kilometer angehalten und kontrolliert. Aus den Bergen hatten wir einiges an Brennholz auf die Trucks geladen. Dieses wollten wir mitnehmen nach Kathmandu, damit unser Freund Naresh es an bedürftige Familien verteilen konnte, denn das Feuerholz wird in der Hauptstadt nur noch rationiert verkauft und oft bleibt für die ärmsten Bewohner der Stadt, die in den Slums leben, gar kein Holz mehr übrig, sodass sie Müll verbrennen müssen, um sich etwas zu essen kochen zu können. Doch leider hatten wir keine Genehmigung für das Brennholz. Ohne diese Genehmigung hätte man uns als Schmuggler überführen können. Die Gefahr war zu groß, dass die Trucks mit dem Holz an einem Check Point beschlagnahmt werden würden, was den Ruin der Truckfahrer bedeutet hätte. Daher ließen wir das Feuerholz am Rande der Region liegen. Naresh plant eine Genehmigung einzuholen, damit das Holz auf offiziellem Wege, den Menschen in der Stadt zu Gute kommen kann. Wir werden sicher bald wieder in das Dorf Takure zurück kehren, denn es sind noch viele Kinder dort, die viel zu dünne Kleidung tragen, für den nahenden Winter. Der nächste Schritt wird sein Kleidung, vor allem für die Kinder zu sammeln und zu kaufen, um diese zu übermitteln. Doch zunächst denken wir gern noch an die letzte Aktion zurück. Auch wenn es sich am Anfang immer anfühlt, als wäre es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In diesem Moment haben wir viele Menschen glücklich machen können und wir selbst strahlen auch noch vor Glück. Und wieder einmal ist uns eins klar geworden: Viele, kleinen Tropfen auf den heißen Stein werden irgendwann zum kühlen Regen!