„Ich lerne Deutsch, weil...“
Wir sind nun bereits den vierten Tag in Donezk und erleben hier sehr viel. Die Eindrücke überschlagen sich. Viel Leid haben wir gesehen, doch an dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass wir hier viele schöne Erlebnisse machen und neue Freundschaften schließen. Das Team um unsere Organisatorin Valentina herum, kümmert sich rührend um uns. Alle sind bemüht, uns einen guten Einblick in das Leben in und um der Stadt herum zu vermitteln. Einen besonders wertvollen und überaus wichtigen Job machen unsere beiden Übersetzerinnen Antonina und Jelena. Sie sind beide Kolleginnen an der Donezker Universität und sind Dozentinnen für Deutsch. Den ganzen Tag übersetzen sie für uns ununterbrochen und das auf sehr hohem Niveau. Ihre Arbeit ist unabdingbar für uns. Ohne sie bekämen wir keinen so guten Einblick in die Lebensgeschichten der Menschen, die wir besuchen und interviewen.
Björn & Antonina
Germaid, Björn & Jelena
Antonina und Jelena haben sich für die Übersetzung ganz freiwillig gemeldet, als sie hörten, dass wir humanitäre Hilfe überbringen. Sie sind natürlich auch selbst vom Krieg betroffen. Doch bei unseren Erkundungs- und Hilfsaktionen haben beide schon bestätigt, dass ihre kleinen Probleme im Gegensatz zu dem Leid, welches andere Familien ertragen müssen, wirklich nebensächlich sind. Sie sagten, ihnen seien auch die Augen aufgegangen, als sie die Umstände um Donezk selbst gesehen haben. Somit wird auch deutlich, dass das Leben in der Innenstadt schon weitestgehend wieder seinen normalen Gang nimmt und dass ein großer Unterschied zwischen der Situation der ländlichen Bevölkerung besteht.
Schon immer haben sich Antonina und Jelena auch sozial engagiert. In ihrem Beruf als Deutschdozentinnen machen sie auch einen sehr wichtigen Job. So unterrichtet Jelena zum Beispiel an einer Schule für deutschstämmige Russen in der Innenstadt. Die Kinder von Russlanddeutschen kommen freiwillig am Samstag und am Sonntag in diese Schule, um neben ihrem normalen Unterricht, quasi als Hobby, Deutsch zu lernen. Sie folgen damit einer Leidenschaft und gehen gleichzeitig ihren Wurzeln auf den Grund.
Vor dem Krieg wurde die Sprachschule vom Goethe-Institut gefördert. Die Gruppen konnten regelmäßig Austauschprogramme organisieren. Jährlich reiste Jelena mit ihren Schülern nach Bayern, einen Teil von Deutschland, den die Lehrerin sehr liebt. Heute ist das nicht mehr möglich. Die finanzielle Unterstützung ist weggefallen. Förderung gäbe es nur, wenn es auch eine Außenstelle des Goethe-Instituts in der Volksrepublik Donezk geben würde. Die ukrainische Zweigstelle finanziert die Schule nicht mehr, was im Grunde nicht verständlich ist, da die Volksrepublik Donezk ja noch gar keine international anerkannte Republik darstellt. Nun bezahlen die Eltern dafür, dass ihre Kinder die Schule besuchen können. Trotzdem lernen die Schüler weiterhin mit viel Eifer in der Sprachschule Deutsch.
Heute am Sonntag haben wir die Schule von Jelena besucht. Eine Gruppe von sechs 15 bis 17-Jährigen hat gerade Unterricht. Sie lernen heute Grammatik. Jelena fragt, ob wir gleich mal den Unterricht übernehmen wollen. Dann sind wir aber doch froh, dass es erstmal eine Vorstellungsrunde gibt, denn zum Thema „Plusquamperfekt“ fiel uns jetzt doch nicht gleich etwas ein 😉
Wir erklären unsere Namen und warum wie hier nach Donezk gekommen sind. Dabei versuchen deutlich und langsam zu sprechen, damit die Schüler uns verstehen. Als sich die Schüler jedoch vorstellen, staunen wir nicht schlecht. Viele können schon sehr gut deutsch sprechen. Jelena erklärt, dass einige erst ein halben Jahr zum Unterricht kommen.
Manche haben vor drei Jahren angefangen, dann kam allerdings der Krieg und der Unterricht wurde für ein Jahr ausgesetzt. Wir sind sehr beeindruckt. Die Jugendlichen erzählen uns, warum sie gerne deutsch lernen. Ein Junge möchte gerne Reisen. Er interessiert sich für die deutsche Wirtschaft. Eine andere Jugendlich singt gern Rockmusik und spielt Gitarre. Sie möchte von uns erfahren, welche Musikgruppen in Deutschland populär sind. Bei einem anderen Jungen ist unschwer zu erkenne, welche Musik aus Deutschland er mag. Auf seinem Pullover steht „Rammstein“ geschrieben.
Die Schüler sind auch sehr interessiert an unserer Geschichte und stellen viele Fragen. Am Ende des Unterrichts gab es Kekse und Tee und wir haben noch lange zusammengestanden und uns ausgetauscht. Viele Fotos wurden geschossen und Björn hatte die Idee, dass man doch auch per Skype telefonieren könnte und so die Sprache des anderen praktizieren könnte. Der Austausch zwischen der Schule und Deutschland war ja schon sehr gefestigt gewesen. Leider sind mit Ausbruch des Krieges nun auch die Austauschbeziehungen weggefallen. Sehr schade! Denn gerade in einer solchen schwierigen Zeit, sollten bestehende Freundschaften gepflegt werden. Natürlich ist ein Austauschprogramm momentan nicht möglich, aber Skype-Unterricht wäre zunächst eine gute Alternative.
Es ist schön zu sehen, wie Freundschaften schon bestehen und dass auch die Jugendlichen in Donezk gefördert werden, ihren deutschen Wurzeln nachzugehen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Jugendlichen bald wieder einen Austausch mit Deutschland aufnehmen könnten. Wir waren jedenfalls sehr beeindruckt von den Schülern und der Besuch bei Jelena hat uns sehr gefallen. Den Schülern hat es übrigens auch gefallen. Schon am Abend desselben Tages bekam Jelena Anrufe von den Eltern, das ihre Kinder ganz aus dem Häuschen seien, weil sie so „coole“ Deutsche kennengelernt haben und es ihnen viel Spaß gemacht hat, sich mit uns auszutauschen. Ja! Gerne mehr davon! Austausch, Bildung und Freundschaft! Das sind die Grundpfeiler einer in Frieden lebenden Gesellschaft, die wir alle so dringend benötigen.