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Tag 6 – 11. Okt. 2016 – Donezk – Dankbarkeit

„Wir sollen auf diese Weise nicht nur Waschmaschinen, sondern auch die besten Wünsche von allen deutschen Spendern an die Menschen in Donezk überbringen.“

„Vielen Dank! Wir werden sehr froh sein, alle bei uns zu Gast zu haben.“

„Und dann essen wir alle Borsch!“

Gemeint seid ihr! Ihr alle, die ihr so fleißig für Waschmaschinen gespendet habt, seid herzlich zum Essen eingeladen, von den Menschen aus dem Flüchtlingsheim in Donezk. Die Gastfreundschaft der Ostukrainer ist unbeschreiblich. Trotz Krieg, Armut, Verlust und schrecklichen Erlebnissen haben die Menschen ihre Gastfreundschaft nicht verloren. Man darf erst gehen, wenn die letzte Schüssel Borsch, das letzte Stückchen Kuchen und der letzte Schluck Wodka vernichtet worden ist. Und selbst dann hat man es hier eigentlich am liebsten, wenn du gleich nebenan im Wohnzimmer einziehst.

Nachdem wir am 6. Oktober ein Flüchtlingsheim in Donezk besucht haben, um einige Hilfsgüter zu übermitteln, mussten wir feststellen, dass sich hier 245 Menschen nur zwei Waschmaschinen teilten. Daraufhin starteten wir eine Kampagne, die zu Spenden aufrief, damit wir weitere Waschmaschinen für dieses Heim besorgen konnten. Innerhalb von zwei Tagen kamen so rund 21.000 Rubel zusammen, umgerechnet ca. 300 Euro, mit denen wir vier Waschmaschinen für das Heim und eine weitere Waschmaschine für eine sehr arme Familie, die in einer Hütte am Stadtrand lebt, kaufen konnten.

Heute war der Tag, an dem wir die Waschmaschinen übermittelten. Zunächst aber besorgten wir für die Familie am Stadtrand  noch einen Kühlschrank. Diese Familie mit drei Kindern besitzt wirklich nichts. Sie leben in einer brüchigen Hütte, die Fenster sind zerschossen, Kühlschrank und Waschmaschine funktionieren nicht. Sie teilen sich den Kühlschrank mit den Nachbarn, doch auch diese besitzen keine Waschmaschine. Hier in diesen Baracken leben drei Familien und etliche Kinder auf engstem Raume. Als wir die Familien erneut besuchen, lächeln uns die Nachbarskinder mit dreckigen, zahnlosen Gesichtern an. Wie rein doch ein Kinderlachen ist!

Sie leben hier in diesem Dreck und doch strahlen sie über beide Ohren, als sie uns sehen. Mit wahnsinniger Neugier inspizieren sie meine Kamera und lachen sich kringelig, als sie sich selbst auf dem Bildschirm erblicken. Die Kinder kennen hier noch kein Gut oder Böse. Sie nehmen ihre Welt an, wie sie ist. Doch trotzdem wollen wir diese Welt heute ein bisschen schöner machen.

Der Kühlschrank und die Waschmaschine wird nicht nur der einen Familie helfen. Alle drei Familien wollen sich die Geräte teilen. Die Eltern sind überglücklich und der Vater der Familie, namens Roma, spricht die wahren Wort aus:

„Ich wünsche Frieden überall auf der Erde. Auf dass die Leute einander besser verstehen, besser leben können. Damit die Menschen überall auf der Erde nur noch lachen und nicht weinen müssen!“

Diese Worte spricht im Übrigen ein Mann aus, den die westlichen Medien als prorussischen Separatisten und Rebellen betiteln würden. Vor dem Krieg war er Bergarbeiter. 2014 sah er sich gezwungen, die Waffe in die Hand zu nehmen, um seine Familie vor der Invasion der ukrainischen „Befreier“-Armee zu schützen. Sein Entschluss in den Krieg zu ziehen, hat er schwer gebüßt, nachdem eine Granate ihm Gesicht und Körper zerfetzt hat.

Wir sind Pazifisten und wir lehnen jede kriegerische Handlung ab. Doch als mich Roma an den Händen hielt und mich mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen anblickte, erinnerte ich mich an das indianische Sprichwort:

„Verurteile niemanden, in dessen Mokassins du nicht zumindest einen Mond lang gelaufen bist.“

Wir fahren durch die breiten Straßen zurück in die Stadt und verlieren uns in Gedanken. Die Ostukraine ist nicht vergleichbar mit Zentralafrika oder den brasilianischen Slums von Rio de Janeiro.  Donezk sieht im Grunde aus wie Hannover oder jede andere größere Stadt in Deutschland. Man könnte auch sagen, hier liegt das Ruhrgebiet der Ukraine, mit all seiner Industrie und dem Bergbau. Es war eine der reichsten und weit entwickeltesten Regionen der Ukraine. In Donezk stehen Hochhäuser aus Glas, ein riesiges Stadium, es lebten neben Kiew, die reichsten Ukrainer hier. Nun ist die Infrastruktur dieser Region zerstört, die Reichen haben die Stadt verlassen. Noch nicht einmal Post kann hierher zugestellt werden.

Warum bekommen wir in unseren Medien so wenig mit, von dem, was hier wirklich passiert? Ist es vielleicht gefährlich, wenn die Menschen in Deutschland wissen würden, was hier los ist? Die Ostukrainer wollten nur eins, sie wollten ihr eigenes Verwaltungssystem, ihre eigene Regierung, unabhängig von Kiew und einer Regierung, die sie nicht akzeptieren konnten. Wir haben die Menschen gefragt, keiner von ihnen will eine Vereinigung mit der Ukraine. Uns wird erzählt, Putin kämpfe in der Ostukraine darum, sein Machtgebiet auszuweiten. Doch Russland steht hier gar nicht zur Debatte. Wir haben noch nicht mal einen russischen Soldaten gesehen. Die Donezker wollen auch nicht zu Russland gehören. Sie wollen ihre eigene, kleine Volksrepublik. Daher haben sie sich mittlerweile neue Nummernschilder gegeben mit der Flagge der Volksrepublik Donezk, einige haben sogar schon neue Pässe eines noch nicht international anerkannten Staates.

Unsere Übersetzerin erzählt, dass Russland schon an die 60 Hilfsgüterkonvois ins Land gebracht hat und der Oligarch unterstütze die Rentner. Ohne Russland würde dieses Gebiet hier aushungern. Doch  bei uns hört man immer nur die Geschichten von Putin als Aggressor und der ukrainischen Armee als Befreier von den prorussischen Separatisten. Das Bild, was sich uns hier direkt vor unseren Augen präsentiert, ist komplett andersherum und es lässt uns schaudern, mit welchen Informationen die Menschen in Deutschland gefüttert werden. Warum? Was sollen wir nicht sehen? Die Menschen in der Ostukraine stehen für ihre Unabhängigkeit ein und sie kassieren dafür Mord, Vertreibung und die Zerstörung ihrer Infrastruktur. Was würde passieren, wenn sich in Deutschland mehr Menschen für ihre Unabhängigkeit einsetzten würden? Erzählt man vielleicht deshalb nicht die ganze Geschichte…?

Ignoranz und Vergessen ebnen den Weg für menschenverachtende Lügen und Krieg!

Am Nachmittag sind wir am Flüchtlingsheim angekommen. Die Freude über die Waschmaschinen ist übergroß. Eine Dame erklärt uns, wie die Maschinen eingesetzt werden. Sie werden auf jeder Etage nun einen Waschraum einrichten. Das erleichtert den Menschen den Haushalt ungemein. Viele Ältere oder kinderreiche Familien leben hier, die sonst zum Waschen immer in den Keller gehen und dort stundenlang in einer Schlange warten mussten.

Wir überreichen der Heimleiterin noch einige Medikamente für die Menschen im Heim und dann erleben wir die ostukrainische Gastfreundschaft, die aus Borsch, eingelegten Gurken und Tomaten und viel Wodka besteht. Man beschenkt uns mit selbstgebackenem Kuchen und Muffins und am liebsten hätte man uns gleich im Nebenzimmer einquartiert, doch an diesem Abend haben wir noch einen Auftrag.

Wir besuchen Natasha, eine ganz bescheidene, alleinlebende Frau, die nur 15 Minuten von unserem Haus entfernt, zusammen mit ihrem kleinen Hund wohnt. Meine Mutter schrieb mich an, sie habe eine Sprachfreundin über Internet kennengelernt, die in Donezk gelebt hat und die uns gebeten hat, ihrer Freundin Natasha zu helfen. Natasha selbst ist zu bescheiden, um zu erzählen, was sie benötigt.

Doch nach langem Fragen bekommen wir heraus, dass sie eine Augenoperation hatte und wichtige Medikamente braucht. Wir kaufen ihr Medikamente im Wert von 2.000 Rubel. Ihre soziale Hilfe beträgt gerade mal 2.500 Rubel im Monat. Als wir in ihre Wohnung kommen bemerken wir, wie schon die Decke im Flur herunterkommt. Sie begrüßt uns mit frischgebackenen Apfelkuchen. Natasha erzählt uns ihre Geschichte vom Krieg, dass sie die Stadt nicht verlassen hat, weil sie kein Geld hatte und dass sie nur ein paar Kilometer weiter in der Innenstadt Schutz in der Wohnung ihrer Freundin gefunden hat. Dabei strahlt sie trotzdem über beide Ohren und bedankt sich vielmals für unsere Unterstützung.

Diese kleine Geschichte zeigt auch, wie schnell und schön direkte Hilfe sein kann. Eine Email meiner Mutter und schon machten wir uns auf den Weg, Natasha zu besuchen. Es braucht nicht viel, egal ob in der Ostukraine, in Deutschland oder überall auf der Welt.

Wir können einander die Hand reichen. Das erfordert nicht viel Geld, nur ein bisschen Mut und ein aufrechtes Herz. Zudem ist der Reichtum an Dankbarkeit, der einem zurückgeschenkt wird, mit keinem Geld der Welt zu aufzuwiegen.